Geowissen

Bewegt sich der Erdmantel langsamer als gedacht?

Neue Messungen von der Osterinsel geben Rätsel auf

Erde
Das zähflüssige Gestein des Erdmantels bewegt sich womöglich langsamer als gedacht. © lyash01/ Getty Images

Mysteriöser Mantel: Auf der Osterinsel haben Wissenschaftler Lavagestein gefunden, das über 150 Millionen Jahre älter ist als die Erdplatte, auf der die Insel liegt. Wie ist das möglich? Das Team vermutet, dass das Gestein nicht aus den heutigen Osterinsel-Vulkanen, sondern aus der Quelle des Vulkanismus tief im Erdmantel stammt. Das würde aber auch bedeuten, dass sich der Erdmantel anders verhält als bislang angenommen.

Unsere Kontinente „schwimmen“ auf dem zähflüssigen Gestein des Erdmantels. Wie ein Förderband bewegt es die tektonischen Platten der Erdkruste, sodass diese im Laufe der Zeit den Platz wechseln – so zumindest die gängige Lehrmeinung. Doch diese These ist überraschend schwer zu beweisen. Um die Kräfte hinter der Kontinentaldrift besser zu verstehen, haben Forschende um Yamirka Rojas-Agramonte von der Universität zu Kiel daher nun neue Messungen auf der Osterinsel vorgenommen.

Überraschender Altersunterschied

Die zu Chile gehörende Osterinsel liegt rund 3.800 Kilometer vom südamerikanischen Festland entfernt und besteht aus mehreren erloschenen Vulkanen. Die ersten Lavaablagerungen müssen sich dort vor etwa 2,5 Millionen Jahren gebildet haben – auf einer ozeanischen Platte direkt unter der heutigen Insel, die nicht viel älter ist als die Vulkane selbst. Um das genaue Alter der Osterinsel zu ermitteln, haben Rojas-Agramonte und ihre Kollegen mehrere Proben alten Lavagesteins gesammelt und das darin enthaltene Zirkon datiert. Das Mineral kristallisiert aus, wenn Magma abkühlt.

Da der Uran-Anteil im Zirkon im Laufe der Zeit zu Blei zerfällt und das Tempo dieses Zerfalls bekannt ist, lässt sich aus Lavaproben schließen, wie alt diese sind. Im Falle der Osterinsel-Proben brachte die Datierung jedoch ein überraschendes Ergebnis: Statt der erwarteten 2,5 Millionen Jahre war das Zirkon bereits bis zu 165 Millionen Jahre alt. Es stammte also noch aus der Zeit der Dinosaurier. Aber wie ist das möglich, wenn die Platte, auf der die Osterinsel liegt, nur einen Bruchteil so alt ist?

Mantelplume Schema
Unter der Osterinsel befindet sich ein langlebiger Mantelplume. © Douwe van Hinsbergen

„Arbeitswütige“ Magmasäule gibt Rätsel auf

Die einzige mögliche Erklärung: Die Mineralien, die Rojas-Agramonte und ihr Team datiert haben, können nicht direkt aus einem der Osterinsel-Vulkane stammen, sondern müssen ihren Ursprung an der Quelle des Osterinsel-Vulkanismus tief im Erdmantel haben. Denn bei den Vulkanen der Osterinsel handelt es sich um sogenannte „Hotspot-Vulkane“. Sie sind einst aus gewaltigen Magmasäulen entstanden, die vom unteren Erdmantel aus hunderte Kilometer aufgestiegen sind und sich durch die Erdkruste geschmolzen haben. Man spricht bei solchen Magmasäulen auch von Mantelplumes.

Dieser Erklärungsansatz erscheint zwar stimmig, eröffnet jedoch mehr neue Fragen als er beantwortet. Denn Mantelplumes gelten zwar als langlebig, aber eine 165 Millionen Jahre andauernde Aktivität ist selbst für sie ungewöhnlich. Um das Rätsel aufzuklären, mussten Rojas-Agramonte und ihr Team daher weit in die Vergangenheit blicken. Sie rekonstruierten jene Erdplatten, die sich vor 165 Millionen Jahren über dem Mantelplume befunden haben müssen – an der Stelle, an der heute die Osterinsel aus dem Ozean aufragt.

Lavagestein ist Mischung aus Alt und Neu

Wie die Rekonstruktion ergab, muss sich an der Stelle der Osterinsel vor 165 Millionen Jahren ein vulkanisches Plateau befunden haben, das dann vor 110 Millionen Jahren abdriftete und unter der antarktischen Halbinsel verschwand. „Und das fiel zufällig mit einer kaum verstandenen Phase der Gebirgsbildung und Krustendeformation an genau dieser Stelle zusammen. Diese Gebirgskette, deren Spuren noch deutlich sichtbar sind, könnte durchaus das Ergebnis der Subduktion eines vulkanischen Plateaus sein, das sich vor 165 Millionen Jahren gebildet hat“, erklärt Koautor Douwe van Hinsbergen von der Universität Utrecht.

Aber noch viel wichtiger: Der Mantelplume der Osterinsel könnte laut Rekonstruktion tatsächlich volle 165 Millionen Jahre lang aktiv gewesen sein. Die ungewöhnlich alten Zirkone wären damit Überreste früherer Magmen, die zusammen mit jüngeren Magmen bei Vulkanausbrüchen aus dem Erdinneren an die Oberfläche gebracht wurden. 

Verhält der Erdmantel sich anders als gedacht?

Diese Erklärung ist zwar in sich schlüssig, doch es gibt ein Problem: Sie ist nicht mit der klassischen „Förderbandtheorie“ des Erdmantels vereinbar. Dass der Mantelplume vor 165 Millionen Jahren an fast demselben Ort aktiv war wie heute, bedeutet, dass er – wie für Plumes typisch – nicht von dem Förderband des Erdmantels mitgerissen wurde. Während sich alles um die Magmasäule herum bewegte, blieb sie also an Ort und Stelle.

Schon in der Vergangenheit hat diese stationäre Natur der Plumes für Stirnrunzeln unter Geologen gesorgt. „Man erklärte dies damit, dass die Plumes so schnell aufsteigen, dass sie von einem Mantel, der sich mit den Platten bewegt, nicht beeinflusst werden. Und dass ständig neues Plume-Material unter der Platte nachgeliefert wird, um neue Vulkane zu bilden“, erklärt van Hinsbergen.

Aber im Fall der Osterinsel hätten die alten Teile des Plumes mit den alten Zirkonen von diesen Mantelströmungen weggetragen werden müssen, weg vom Standort der Osterinsel, und könnten jetzt nicht mehr an der Oberfläche sein. „Daraus schließen wir, dass diese alten Minerale nur dann erhalten bleiben konnten, wenn der Mantel, der den Plume umgibt, im Grunde genauso stationär ist wie der Plume selbst“, so van Hinsbergen weiter.

Der Erdmantel müsste sich also grundlegend anders verhalten und viel langsamer bewegen als bisher angenommen. Hinweise darauf hatten zuvor bereits Studien auf den Galapagos-Inseln und in Neuguinea geliefert. Sollten sich die Beweise weiter verdichten, dann müssten in Zukunft alle geologischen Lehrbücher umgeschrieben werden. (ESS Open Archive Preprint, 2024; doi: 10.22541/au.170129661.17646127/v1)

Quelle: Utrecht University

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